Im Bereich der Gehirn-Computer-Schnittstellen (BCI) gab es in den vergangenen Jahren zahlreiche Durchbrüche, angefangen von Gehirnimplantaten, mit deren Unterstützung die Trägerinnen und Träger Schach spielen konnten, hin zu Neuroprothesen, die es ihnen ermöglichen, eine Drohne zu steuern. Nicht zuletzt dank schneller Entwicklungen in der künstlichen Intelligenz (KI) sind BCIs ein weltweit wachsendes Forschungsfeld.
Sprache zurückgewinnen dank Gehirnimplantat
Aus medizinischer Sicht ist besonders der Einsatz neuer Gehirn-Computer-Schnittstellen für die Kommunikation relevant, oder genauer: für die Äußerung von Sprache. Viele Teams beschäftigen sich mit der Frage, wie Gehirnimplantate helfen können, Menschen, die ihre Sprachfähigkeit verloren haben, wieder eine Stimme zu geben.
Eine vielversprechende Entwicklung in diesem Bereich ist Forschenden der Universität von Kalifornien gelungen. Basierend auf früheren Studien haben sie ein BCI entwickelt, das die Gehirnaktivität einer Frau in flüssige Sprachausgabe übersetzen konnte – und das nahezu in Echtzeit. Die von unabhängigen Experten geprüfte Studie ist diese Woche in der Fachzeitschrift Nature Neuroscience erschienen.
Vom Whatsapp-Chat zur natürlichen Unterhaltung
Bei der Teilnehmerin, die zum Zeitpunkt der Studie 47 Jahre alt war, wurde nach einem Schlaganfall in der rechten Gehirnhälfte vor fast 20 Jahren eine Tetraplegie und Anarthrie diagnostiziert. Sie kann seitdem weder Arme und Beine bewegen, noch sprechen. Mit dem Gehirnimplantat war es ihr erstmals seit dem Schlaganfall möglich, komplette Sätze mental zu formulieren, die anschließend mithilfe von Sprachsynthese geäußert wurden.
Der Fokus des Teams lag darauf, die Verzögerung zwischen Ein- und Ausgabe möglichst gering zu halten. „Natürliche gesprochene Kommunikation geschieht sofort. Sprachverzögerungen, die länger als ein paar Sekunden dauern, können den natürlichen Gesprächsfluss stören“, schreiben die Forschenden in der Studie. Das sei frustrierend für alle Beteiligten und ein großer Nachteil bisheriger Schnittstellen und Implantate, die Gehirnaktivität aufzeichnen und in sprachliche Äußerungen umwandeln.
Ältere sprachgenerierende BCIs ähnelten „einem WhatsApp-Chat“, bestätigt Christian Herff, Neurowissenschaftler an der Universität Maastricht in einer Einschätzung gegenüber Nature: „Ich schreibe einen Satz, du schreibst einen Satz und dann dauert es wieder, um eine Antwort zu erhalten. Es fließt einfach nicht wie ein natürliches Gespräch.“
Die Herausforderung für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Kalifornien bestand darin, die Verarbeitung der Signale zu beschleunigen. Dazu versahen sie das motorische Sprachzentrum der Frau mit einem Implantat mit 253 Elektroden, das alle 80 Millisekunden die Nervenaktivität in diesem Hirnareal misst. Die Daten werden an eine Software geschickt, in der sie von einem neuronalen Netz analysiert und anschließend an eine künstliche Sprachausgabe weitergegeben werden.
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Eine „streamende Neuroprothese“
Um die KI zu trainieren, musste die Teilnehmerin zunächst Zielsätze artikulieren. Auf einem Bildschirm bekam sie die Sätze angezeigt und musste sie „still“ äußern, indem sie sich die Artikulation vorstellte, ohne die gelähmten Muskeln tatsächlich bewegen zu können. Ein Wörterbuch enthielt 50 Sätze mit 119 eindeutigen Wörtern, die nach Relevanz im klinischen Pflegeeinsatz ausgewählt wurden. Ein zweites Wörterbuch bestand aus 13.463 allgemeinen Sätzen und 1.024 Wörtern, die aus Filmdialogen und Social Media stammten.
Anhand der Trainingsdaten war das System anschließend in der Lage, zwischen 47 und 90 Wörtern pro Minute zu erzeugen – und das mit einer Genauigkeit, die es der Frau tatsächlich möglich machte, Gespräche zu führen. Das System konnte außerdem teilweise Wörter korrekt erkennen, mit denen es nicht trainiert wurde.
Zwar kommt die Geschwindigkeit noch nicht an die einer natürlichen Konversation heran, in der bis zu 160 Wörter pro Minute erzeugt werden. Doch das System sei immer noch bis zu achtmal schneller als bisherige Experimente, schreiben die Forschenden. Das liegt daran, dass die entwickelte Schnittstelle in der Lage ist, einen Teil des Inputs bereits zu verarbeiten, während der Rest des Satzes noch geäußert wird. Deshalb sprechen die Verantwortlichen auch von einer „streamenden Neuroprothese“.
Universeller Einsatz: System ist nicht auf ein bestimmtes Implantat beschränkt
Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass das System nicht auf ein bestimmtes Implantat beschränkt ist. Es könnte also auch mit anderen BCIs funktionieren, die mit dem motorischen Sprachzentrum verbunden sind.
Mit mehr Sensoren, höherer Präzision und verbesserter Signalverarbeitung könnten die Schnittstellen künftig noch schneller arbeiten, schreiben die Verantwortlichen. Und somit einen weiteren großen Schritt machen auf dem Weg, gelähmten Menschen ihre Sprachfähigkeit zurückzugeben.