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Auf die Idee, nicht zu arbeiten, wäre Martina Pelz nie gekommen – auch nicht angesichts des bedingungslosen Grundeinkommens. Die Münchnerin zählt zu den glücklichen Gewinnerinnen, die das sogenannte BGE für ein Jahr erhalten haben. Glück müsste man großschreiben, denn für sie hat sich mit dem Erhalt sehr viel geändert. Dabei war sie nicht einmal Überzeugungstäterin, sondern ist durch eine Freundin überhaupt erst darauf aufmerksam geworden.
„Ich habe mich da einfach mal eingetragen, verlieren konnte ich ja nichts“, sagt sie. Am Ende hat sie nicht nur Geld bekommen, sondern eine neue Perspektive. Pelz glaubt, das Grundeinkommen biete großes Potenzial, die Menschen zu befähigen. Sie hat das am eigenen Leib erfahren.
Die Idee des Grundeinkommens ist es, dass alle Menschen eines Landes von der Geburt bis zum Tod jeden Monat vom Staat so viel Geld erhalten, wie sie zum Leben benötigen. Als Grundrecht, ohne dass Bürgerinnen und Bürger dafür etwas tun müssen oder es ihnen gestrichen werden kann. Das BGE wird nicht zuletzt deshalb politisch immer wieder hitzig diskutiert. Während hierzulande die CDU/CSU, die SPD und die AfD sich ablehnend positionieren, befürworten die Grünen und Linken es.
Kritiker glauben, der Mensch würde es ausnutzen und nicht mehr arbeiten. Fürsprecher hingegen behaupten, der Mensch würde sich dadurch von Sachzwängen emanzipieren und erst richtig entfalten können. Die Debatte wird seit Jahren weltweit geführt.
Mutiger mit bedingungslosem Grundeinkommen
Als Martina Pelz die Nachricht bekam, in der Verlosung gewonnen zu haben, stieß sie einen kleinen Freudenschrei aus. Zu dieser Zeit war alleinerziehende Mutter und hangelte sich seit Jahren von einem befristeten Vertrag zum nächsten. In ihrer Branche keine Seltenheit, sie hat zur damaligen Zeit als Projektkoordinatorin an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München gearbeitet. Ist ein Projekt beendet, endet in der Regel auch das Anstellungsverhältnis.
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„Für mich war das damals schon ein Traumjob“, erzählt sie. „Jedoch waren die Umstände oft auch nervenaufreibend.“ Wer im akademischen Umfeld arbeitet, dessen Job hängt meist an Forschungsgeldern. Sicher ist hier oft nur die Unsicherheit. Mit zunehmendem Alter und Verpflichtungen, strengte sie das an.
„Vorher hätte ich eine Verlängerung nie ausgeschlagen“, sagt Pelz. Mit ihrem Grundeinkommen im Rücken hat sie jedoch den Mut gefasst, über den ihr angebotenen Vertrag zu verhandeln. „Ich ging auf meinen Arbeitgeber zu und sagte, dass ich eine bessere Perspektive benötige oder leider gehen muss.“ Nachdem klar war, dass ihr bisheriger Arbeitgeber keine Zugeständnisse machen konnte, suchte sie in Ruhe nach einer Anstellung, die gut zu ihr passt. Schlussendlich landete sie einen Volltreffer: Die Landeshauptstadt München stellte sie unbefristet ein.
„Das BGE hat mir vor allem finanzielle Sicherheit und innere Ruhe gegeben.“
Was das bedingungslose Grundeinkommen mit Einzelnen und einer Gesellschaft an sich macht, ist immer wieder Gegenstand vieler Studien: Viel Aufsehen erregt ein Experiment in Finnland. Die Regierung hat von 2017 bis 2018 jeden Monat probeweise 560 Euro an 2.000 zufällig ausgewählte Langzeitarbeitslose ausgezahlt – steuerfrei und bedingungslos. Die Bilanz: Wer zum Kreis dieser Menschen gehörte, dem ging es oft besser.
Das sichere Einkommen wirkte sich positiv auf deren Psyche aus. Jedoch wurden bei dem Experiment die erhofften positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt nicht explizit nachgewiesen. Sprich: Es war nicht so, dass am Ende alle Arbeitslosen plötzlich wieder in Arbeit waren.
Ein älteres Experiment lief von 1974 bis 1979 im kanadischen Dauphin. Etwa 1.000 Familien erhielten finanzielle Unterstützung – allerdings nicht mit fixen Beträgen wie in den heute diskutierten Modellen üblich, sondern abhängig vom Einkommen. Jeder zusätzlich verdiente Dollar ließ das Grundeinkommen um 50 Cent sinken. Auch hier ergaben sich spannende Ergebnisse: Die Stadt verzeichnete einen signifikanten Rückgang der Krankenzahlen. Teilnehmende mussten seltener zum Arzt, vor allem Besuche aufgrund psychischer Beschwerden gingen zurück.
Der Arbeitsmarkt brach auch nicht ein, die Testpersonen steckten das Geld sogar in Anschaffungen wie beispielsweise ein Auto, das ihre Wettbewerbsfähigkeit am Arbeitsmarkt verbesserte.
Vor wenigen Tagen sind auch die Ergebnisse der Langzeitstudie des Pilotprojekts Grundeinkommen erschienen, dem bisher größten zivilgesellschaftlichen Experiment seiner Art weltweit. 120 Menschen bekamen drei Jahre lang jeden Monat 1.200 Euro ausbezahlt. Auch hier zeigt sich, dass die Teilnehmenden weiter gearbeitet haben. Auf das Wohlbefinden wirkte sich das Zusatzgeld laut der Untersuchung positiv aus. Das Gefühl von Autonomie stieg primär bei Frauen an. Sie konnten selbstbestimmter über ihr Leben entscheiden.
Auch Martina Pelz hat die in den Studien nachgewiesenen Effekte in ihrem Leben gespürt: „Das BGE hat mir vor allem finanzielle Sicherheit und innere Ruhe gegeben“, sagt sie. „Ich habe mir weniger Sorgen gemacht.“ Davon habe vor allem auch die Tochter profitiert, der sie kurz vor der Einschulung noch einmal etwas gemeinsame Zeit bieten konnte. Normalerweise hätte sie sich die achtwöchige Auszeit, die sie vor dem Schulstart einplante, finanziell nicht leisten können.
Aber auch den anschließenden neuen Job ging sie viel motivierter an, da sie mehr gedankliche Freiheit hatte, um fokussiert in ihre neue Position einzusteigen. Die berufstätige Mutter spricht von einem Geschenk, das sonst nur Besserverdienende erhalten würden.
Grundeinkommen bringt Sicherheit und Selbstwert
Viele Beobachter bezeichnen das bedingungslose Grundeinkommen oft als utopisch. Der niederländische Historiker Rutger Bregman behauptet in seinem gleichnamigen Buch jedoch, es sei eine „Utopie für Realisten“ (Amazon*, Genailokal*). Er will das BGE unbedingt realisiert sehen. Nachdem ausgerechnet der damalige US-Präsident Richard Nixon es Anfang der 1970er beinahe per Gesetz eingeführt hätte, sei es nun absolut überfällig. Studien aus aller Welt, so sagt er, hätten belegt, dass Geld ohne Auflagen an Bedürftige funktioniert.
Weder die Faulheit habe zugenommen noch der sittliche Verfall, wie Kritiker immer befürchteten. Das Geld sei vielmehr sehr gezielt und problemorientiert für die Gesundheit, Ausbildung, Kindererziehung sowie die Realisierung von Karrieren verwendet worden.
Zum ersten Mal in der Geschichte sei ein solches Grundeinkommen finanzierbar, rechnet Bregman in seinem Werk vor, und betont, es könne dem Sozialstaat seinen eigentlichen Sinn zurückgeben. Studien, so argumentiert er weiter, zeigten weltweit auf, dass die Kosten, die damit einhergehen würden, sich amortisieren. Weniger Kranken- und Pflegegeld sowie geringere Arbeitslosenhilfe seien die unmittelbare Folge. Im Grunde stehe dahinter lediglich eine Steuerreform.
Die Umverteilung würde die Forderung der politischen Linken nach sozialer Gerechtigkeit erfüllen. Was das System der Gängelung anbelangt, so käme es der Forderung der politischen Rechten entgegen, die staatliche Einflussnahme zu begrenzen. Sicherheit und Selbstwert als Folge des Grundeinkommens. Mit der Krise nimmt die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen wieder Fahrt auf. Nichts ist größer als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.