In der öffentlichen Debatte ist das Homeoffice unpopulär geworden. Mitarbeitende vergeudeten zu viel Zeit mit Dingen, die nichts mit der Arbeit zu tun haben – Kochen, Familie, bald wieder die Balkone und Gärten, Sport. Alles wichtige Aktivitäten, aber auch Zeitfresser, mit denen Menschen ihren Unternehmen Zeit stehlen würden.
Dieser Vorwurf wird absurd, wenn wir uns ehrlich mit den Prozessen der Arbeit auseinandersetzen. Denn ein Arbeitstag in einer Firma ist einer, der ständig unterbrochen wird. Und zwar ohne Struktur, ohne Plan, ohne Vorhersehbarkeit.
Das gehört zur Arbeit dazu, und es ist gar nicht unbedingt schlimm: Wird eine Controllerin bei ihrer Arbeit unterbrochen, weil der Datenanalyst dringend eine Information benötigt, ist diese Unterbrechung Teil ihres Jobs. Kommt er dafür mit Kaffee und Keksen in ihr Büro, dann ist das eine freundliche Geste, die beide zusammenschweißen kann. Aus ihrem Prozess hat er sie trotzdem gerissen. Licht und Schatten – beide Sichtweisen sind wahr.
Ablenkung im Homeoffice: Die Mischung macht es!
Im Homeoffice seien sie aber laut Unternehmen unerwünschte Unterbrechungen, während die wichtigen Interaktionen fehlen. Das stimmt natürlich. Eine freundliche Anfrage per Mail kann zwar auch nach Abschluss eines Arbeitsablaufes beantwortet werden, aber sie enthält weder Kekse noch Kaffee noch Lächeln.
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Und doch möchte ich mich dafür aussprechen, Menschen im Homeoffice bei der Gestaltung ihrer Tage etwas mehr freie Hand zu lassen. Denn Homeoffice spart Zeit. Es beginnt schon damit, dass wir am heimischen Esstisch einfach mit der Arbeit beginnen. Während bei der Ankunft im Büro immer eine Startphase nötig ist, bevor irgendwas läuft – Mantel, Kaffee, Technik, Begrüßung, dies-das, Zeit verdaddelt, es kann nicht geändert werden, es passiert.
Das Homeoffice ist dagegen jederzeit einsatzfähig, jedenfalls sobald das Notebook zwischen den Malbüchern der Kinder gefunden wurde. Und im „Heute läuft es gut“-Fall ist es frei von Unterbrechungen. Aufgaben gehen schneller und es passieren weniger Fehler. Gehen wir außerdem davon aus, dass Menschen ihre Arbeit schaffen wollen. Diese Mischung gibt Raum für Privatgedöns zwischen all der Bildschirmarbeit. Und dieses Privatgedöns kann produktiv machen. So zum Beispiel:
1. Lasst die Leute Sport machen
12 Minuten Video-Sportkurs oder einfach 50 Hampelmänner? Eine kleine Laufrunde durch den Park? Wären die Menschen Raucher, dann würde man ihnen diese Zeiten zugestehen. Kaffee? Kekse? Lästerrunde? Alles erlaubt. Aber Bewegung gilt als Privatvergnügen und das ist Quatsch. Sport macht fokussiert, kreativ, emotional ausgeglichen und produktiv. Alles Eigenschaften, die voll im Sinne der Firma sind. Lasst die Leute springen, wenn sie springen wollen.
2. Lasst die Leute vor die Tür
Spaziergänge trauen sich Menschen nicht, weil sie dann kurz nicht erreichbar wären. Doch die ständige digitale Erreichbarkeit gilt manchen als Stressfaktor im Homeoffice. Wer eine Mail oder eine Chatnachricht auch nur kurz übersieht, fühlt sich schuldig. Damit wird die große Stärke der Arbeit zu Hause ausgehebelt: Fokus-Zeit. Unerreichbarkeit muss normalisiert werden. Wer mit starrem Kiefer auf eine Präsentation schaut, der wird das Problem nicht durch Erreichbarkeit lösen. Ein Spaziergang ist aussichtsreicher.
Das gilt natürlich nur, wenn Ergebnisse zählen. Bezahlst du die Leute für ihre vor dem Bildschirm verbrachte Zeit, dann ignoriere mich einfach.
3. Lasst die Leute kochen
Kantinen sind praktisch. Aber wer gern kocht oder gern zur Salatbar im nächsten Supermarkt läuft, kann darin Entspannung finden. Das Beste daran: ein selbst gekochtes Essen kann richtig gesund ausfallen. Kognitiv passiert das: Die Person wird von der aktuellen Aufgabe abgelenkt, ohne sich geistig zu verausgaben, denn Kochen beschäftigt uns zwar ein wenig, belastet aber nicht. Das führt zu neuen Lösungen. 20 Minuten Kochpause gefolgt von einer Mahlzeit sind möglicherweise also gut investierte Zeit.
4. Lasst die Leute Blätter harken
Gartenarbeit? Warum denn nicht? Die wenigsten von uns müssen ganze Stadtparks vom Laub befreien, wir sprechen hier also nicht von einer tagesfüllenden Aufgabe. Gartenarbeit lässt Menschen erholsamer schlafen, sie beruhigt, sie findet draußen statt und in Bewegung. Zehn Minuten ein wenig von links nach rechts harken oder ein paar Blätter vom Balkon sammeln, könnte genau die Pause sein, die danach wieder produktiv und kreativ macht. Die Menschen sehen ein Ergebnis und sie haben ihren ganzen Körper bewegt. Das gibt neue Motivation.
5. Lasst die Leute selbst entscheiden
Wer seinem Team nicht vertraut, der hat entweder die falschen Leute eingestellt oder ein Problem mit seinem Menschenbild. Vertrauensvolle Zusammenarbeit ist eine Führungsaufgabe. Im Kern der Homeoffice-Debatte steht deshalb nicht wirklich das Verhalten der Mitarbeitenden. Wir müssen darüber sprechen, wie wir Führungskräften helfen können, Vertrauen zu lernen, zu verdienen und auszuhalten.
Die Menschen können selbst entscheiden, wie sie ihre Pause gestalten. Dass Rauchen vor der Tür oder ein Sandwich am Schreibtisch noch immer akzeptierter sind, als Bewegung und frische Luft (ja, und manchmal auch die Waschmaschine, wir wissen es alle – na und?!), ist ein Problem. Bewegung und frische Luft machen nichts unproduktiv. Und wer seine veralteten Überzeugungen nicht ablegen kann, sollte vielleicht mal an die frische Luft gehen.