
Am 9. April 2025 befasste sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit einem Fall, der weit über die Klage eines einzelnen Spielers hinausreicht. Im Kern geht es um die Frage, ob Deutschland gegen EU-Recht verstößt, wenn es Online-Casinos ohne deutsche Lizenz für deutsche Spieler ausschließt. Das Urteil könnte die Regeln für Online-Glücksspiel hierzulande neu sortieren – und zugleich testen, wie weit die europäische Dienstleistungsfreiheit tatsächlich reicht.
So funktioniert der deutsche Online-Glücksspielmarkt heute
Seit Juli 2021 ist der Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV 2021) in Kraft. Er soll drei Ziele erreichen: den Schwarzmarkt eindämmen, die Spieler schützen und die legalen Angebote stärken. Die Aufsicht liegt bei der gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder (GGL) in Halle (Saale). Dennoch gibt es Kritik. Ein Blick auf die wichtigsten Punkte zeigt, warum:
- Wenige Lizenzen – bis April 2025 haben nur 49 Anbieter eine Lizenz für virtuelles Automatenspiel.
- Strenge Auflagen – monatliches Einzahlungslimit von 1.000 Euro, Werbung nur in engen Zeitfenstern, zentrale Sperrdatei.
- Kein echtes Live-Casino, Roulette, Blackjack & Co. dürfen nur als Animation laufen, echte Dealer sind verboten.
- Lotterien bleiben Staatsdomäne, Klassiker wie Lotto oder Glücksspirale bleiben fest in öffentlicher Hand.
Das Ergebnis: Laut Deutschem Sportwettenverband (DSWV) fließen rund 50 % der Umsätze zu Plattformen ohne deutsche Lizenz – häufig Firmen mit Sitz in Malta oder Curaçao. Mit anderen Worten: Die halbe Branche operiert faktisch weiter im Graubereich.
Brüsseler Gegenwind: Warum die EU-Kommission Druck macht
Die Kommission in Brüssel schaut sich den deutschen Sonderweg schon lange skeptisch an. Bereits 2010 startete sie ein Vertragsverletzungsverfahren. Der Vorwurf: Deutschland behindere mit seinem Lizenzsystem die Dienstleistungsfreiheit nach Artikel 56 AEUV.
Konkret kritisiert die EU, dass die Regeln unverhältnismäßig streng sind und seriöse Anbieter aus anderen EU-Staaten kaum eine Chance auf Marktzugang haben.
Offizielle Zahlen der GGL beziffern den Umsatz lizenzierter Online-Casinos 2023 auf 3,2 Mrd. €. Schätzungen für den unregulierten Markt liegen ähnlich hoch – allerdings ohne Steuern und ohne Verbraucherschutz.
Fall C‑440/23: Worum es vor Gericht wirklich geht
Auslöser des Verfahrens ist ein deutscher Spieler, der Geld bei einem in Malta lizenzierten Casino verloren hat. Weil der Anbieter in Deutschland keine Genehmigung besitzt, fordert er sein Geld zurück. Ein Gericht in Malta hat den Fall an den EuGH weitergereicht, um klären zu lassen, ob Deutschland den Dienst überhaupt verbieten darf.
Drei Kernfragen stehen im Raum:
- Darf Deutschland EU-lizenzierte Anbieter pauschal ausschließen?
- Muss ein Spieler Verluste akzeptieren, wenn das Angebot in Deutschland illegal war?
- Wie groß ist das Gewicht des nationalen Rechts im Verhältnis zu den Grundfreiheiten der EU?
Mit dem endgültigen Urteil rechnet man frühestens im Herbst 2025. Die Stellungnahme des Generalanwalts, die für Juli erwartet wird, dürfte aber schon erste Hinweise liefern.
Schutz kontra Freiheit: Das juristische Spannungsfeld
Berlin beruft sich auf Artikel 52 AEUV. Die erlaubten Einschränkungen, wenn sie dem Verbraucherschutz oder der Kriminalitätsbekämpfung dienen – Stichworte Spielsuchtprävention, Jugendschutz, Geldwäsche. Kritiker sprechen hingegen von einem verkappten Staatsmonopol, das nur als Spielerschutz verkauft wird.
Die EU hält dagegen: Beschränkungen müssen verhältnismäßig, transparent und konsistent sein. Wer strenger reguliert, muss also nachweisen, dass die Maßnahmen wirken – und nicht nur ausländische Konkurrenz blockieren.
Was ein EuGH-Urteil auslösen könnte
Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen die deutsche Glücksspielregulierung hätte weitreichende Konsequenzen. Sollte der Gerichtshof den aktuellen Kurs kippen, könnten Anbieter mit Lizenzen aus anderen EU-Staaten – etwa Malta oder den Niederlanden – rechtlich gegen ihren Ausschluss vom deutschen Markt vorgehen und möglicherweise sogar eine Zulassung erzwingen. Gleichzeitig stieg der politische Druck auf die Bundesländer, das bestehende Lizenzsystem grundlegend zu reformieren.
Dazu gehören u.a. Einzahlungslimits, Werbebeschränkungen und das Verbot bestimmter Spielformen. Auch die bisherige Monopolstellung der staatlichen Lotterien würde ins Wanken geraten.
Für die Nutzer würde das mehr Auswahl und unter Umständen auch bessere Konditionen bedeuten – zugleich aber auch neue Risiken, wie etwa steigende Suchtgefahr oder die Notwendigkeit stärkerer Kontrollen durch die Behörden.
Ein Blick über die Grenze: Modelle anderer EU-Staaten
Ein Vergleich mit anderen EU-Mitgliedstaaten zeigt, dass ein liberalisierter Glücksspielmarkt durchaus funktionieren kann – vorausgesetzt, klare Regeln und konsequente Aufsicht greifen ineinander.
Besonders deutlich wird das am Beispiel von Malta, das sich über die Jahre zu einem führenden Standort für Online-Glücksspiel entwickelt hat. Dort reguliert die Malta Gaming Authority (MGA) über 300 Anbieter und legt dabei großen Wert auf Compliance, Spielerschutz und Transparenz. Schweden verfolgt seit 2019 einen ähnlichen Weg: Der Markt wurde geöffnet, nationale Lizenzen wurden eingeführt und der Fokus stark auf verantwortungsvolles Spielen gelegt.
Die Niederlande wiederum gingen 2021 mit einem einheitlichen Lizenzsystem an den Start und setzen auf harte Sanktionen bei Regelverstößen. Diese Länder zeigen, dass Marktoffenheit nicht im Widerspruch zu wirksamer Regulierung stehen muss.
Fazit:
Ob das kommende EuGH-Urteil den Markt öffnet oder nur weitere Rechtsunsicherheiten schafft, ist offen. Klar ist: Deutschlands Regulierung steht auf dem Prüfstand. Für Spieler heißt das, wachsam zu bleiben und Anbieter sorgfältig zu vergleichen – etwa über unabhängige Bestenlisten. Ein objektiver Blick auf Online-Casinos im Vergleich kann gegebenenfalls helfen, seriöse Plattformen zu erkennen und Schwarze Schafe zu meiden.
Der Gesetzgeber muss nun einen Spagat schaffen: Schutz vor Spielsucht einerseits, Wahrung der europäischen Freiheiten andererseits. Das Verfahren in Luxemburg ist deshalb mehr als ein Rechtsstreit. Es ist ein Signal, wie Europa die digitale Zukunft seines Binnenmarktes gestalten will.