Wie digital ist die Logistik in Deutschland? Der Digitalisierungsindex Mittelstand 2021/2022 sah die Logistik-Branche bei 65 (von 100 möglichen) Punkten und damit fünf Punkte höher als im Jahr davor. Damit liege die Logistik sechs Punkte über dem Durchschnitt aller Branchen, so die Studie der Deutschen Telekom und Techconsult. Die Logistik-Unternehmen setzten mittlerweile in fast allen Tätigkeitsfeldern digitale Technologien ein oder planten dies innerhalb der nächsten zwölf Monate, hieß es damals. Besonders beliebt waren Systeme zur Lagerverwaltung (62 Prozent) und Tools zum digitalen Flottenmanagement (61 Prozent). Der hohe Digitalisierungsgrad habe der Logistikbranche geholfen, die Auswirkungen der Pandemie zu mildern, so die Studie.
Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 3/2023 von MIT Technology Review erschienen. Hier könnt ihr das Heft als pdf-Ausgabe bestellen.
Weitere Digitalisierungsschritte müssen folgen – da sind sich die Befragten einer Studie zur Zukunft der Logistik des IT-Branchenverbands Bitkom (pdf) einig. Die Unternehmen erhoffen sich einen schnelleren Transport von Produkten (92 Prozent), eine langfristige Senkung der Logistikkosten (85 Prozent), weniger fehleranfällige Transportketten (79 Prozent) sowie einen umweltschonenden Transport (69 Prozent). Zwei Drittel denken, dass künftig weniger Beschäftigte einfache Tätigkeiten verrichten müssen – etwa in Lagern. Dass Roboter den Großteil der körperlichen Arbeit übernehmen werden, glauben 54 Prozent. Gleichzeitig wird die Nachfrage nach Fachpersonal steigen: 74 Prozent der Umfrageteilnehmer war klar, dass sie die Digitalkompetenz ihrer Mitarbeitenden verbessern müssen.
Hier die wichtigsten Trends der nächsten Jahre, wie sie Expert:innen einordnen:
Smarte Lager
Lagerarbeiter sind zunehmend mit digitalen Helfern ausgestattet, um Teile leichter zu finden oder Laufwege zu verkürzen. Ein Handschuh des Münchener Startups Proglove enthält einen eingebauten Barcodescanner, der direkt Feedback gibt und erheblich Zeit spart. Picavi in Herzogenrath setzt auf Datenbrillen, die Informationen zu Lagerplatz und Gegenstand einblenden. Andere Lösungen sind smarte Regale, die per Display zeigen, wo die Teile liegen, die für die Kommissionierung eines Pakets erforderlich sind. Sensoren messen, ob noch genug Teile in der Kiste liegen, und bestellen rechtzeitig Nachschub. Im Hintergrund werden die Daten mit anderen Systemen aus der Supply Chain verknüpft. Hilfe gibt es auch bei der personalintensiven Inventur. Die Uni Oldenburg und der SAP-Dienstleister Abat haben eine Lösung entwickelt, bei der eine Drohne durchs Lager fliegt und Fotos aus verschiedenen Perspektiven schießt, eine Künstliche Intelligenz erkennt daraus die Zahl der gelagerten Teile. Bei einem Getränkehändler reduzierte sich der Zeitaufwand für das Zählen der Getränkekisten um 90 Prozent, die Verlässlichkeit erhöhte sich erheblich.
Künstliche Intelligenz
71 Prozent stimmten in der Bitkom-Studie der These zu, dass 2030 Künstliche Intelligenz viele Aufgaben in der Logistik übernehmen wird, etwa die Planung von Routen oder das Bestellen von Waren. Ein Beispiel: Selbstlernende Systeme sagen das Kundenverhalten vorher, so können Händler Ware in die Nähe ihrer Kunden bringen, schon bevor dieser bestellt hat. Das verkürzt die Lieferzeiten.
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Autonomes Fahren
In vielen Betrieben bringen heute schon fahrerlose Transportsysteme Teilenachschub aus dem Lager an die Montageplätze. Meistens orientieren sie sich an einer Sichtspur, die auf den Boden geklebt ist. Auf der Straße dauert es noch etwas, doch die Fortschritte beim autonomen Fahren bei den Pkw sind rasant und werden die Lkw-Logistik beflügeln. Die Bundesvereinigung Logistik schätzt, dass bis 2030 etwa 150.000 Brummi-Fahrer in Deutschland fehlen werden. Abhilfe könnte das Platooning schaffen: Im vorderen Lkw sitzt ein Fahrer, dahinter folgen weitere Fahrzeuge autonom. Bei DB Schenker in Jönköping, Schweden, fährt der vollelektrische Einride Pod autonom zwischen den Lagern hin und her. Ein Fahrerhaus hat er nicht mehr, überwacht wird er aus der Ferne. Und Fedex hat einen Sattelschlepper getestet, der autonom zwischen Dallas und Houston pendelt.

In Schweden fährt der elektrische Lkw Einride Pod bereits fahrerlos zwischen Lagern der DB Schenker hin und her.
(Foto: Einride)
Plattformen
Online-Plattformen hat wohl jeder schon einmal benutzt: Airbnb oder Uber. Diese bieten Wohn- oder Mitfahrgelegenheiten an, ohne selbst auch nur ein einziges Appartement oder Auto zu besitzen. Die Plattform bringt lediglich Anbieter und Kunden zusammen. In der Logistik können das Dienste wie freier Lagerplatz oder die „Mitfahrgelegenheit“ in einem Überseecontainer sein. Plattformanbieter werden zum Ende des Jahrzehnts bedeutende Player in der Logistikbranche sein, sagten in der Bitkom-Umfrage 76 Prozent der befragten 514 Logistikunternehmen.
Rückwärtslogistik
Umtausch nach dem Widerrufsrecht hat den Bedarf nach Transport vom Kunden zurück zum Händler oder zum Hersteller stark anschwellen lassen. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum Rückwärtslogistik an Bedeutung gewinnt. Nachhaltiges Wirtschaften braucht geschlossene Stoffkreisläufe. Nach dem Ende seiner Nutzung sollte ein Produkt nicht mehr entsorgt, sondern auf einer möglichst hohen Wertstoffstufe wiederverwendet werden. Diese Rückwärtslogistik gibt es erst für wenige Branchen und Produkte, etwa für gebrauchte Batterien oder Solarmodule. Ökologisch sinnvoll ist das aber nur, wenn der Rücktransport und die Wiederverwertung weniger CO₂ erzeugt als die Herstellung eines neuen Produkts.
3D-Druck
Künftig werden nicht mehr fertige Teile verschickt, sondern die digitale Beschreibung derselben. Das Teil wird dann in der Nähe des Kunden ausgedruckt. Vor allem für Ersatzteile, die nicht überall verfügbar sind, ist das interessant. So baut Siemens 3D-Druck-Stationen in aller Welt auf, wo Komponenten für verschlissene Gasturbinen hergestellt werden. Solche Konzepte könnten auch helfen, unterbrochene Lieferketten etwa in einer Pandemie zu ersetzen.
Value Adding
Das Value Adding, das Hinzufügen von Wert während des Transports, ist näher, als man denkt. Sensoren überwachen verderbliche Waren in der Kühlkette und reduzieren so den Ausschuss. Und Sensoren zur Ortung von Paketen können das Diebstahlrisiko senken: Jedes Jahr werden in Deutschland Waren im Wert von über einer Milliarde Euro aus Lkw gestohlen. Die Königsdisziplin wäre ein Value Adding während des Transports einer Ware. Die Montage auf einem Containerschiff oder in einem Bahnwaggon würde die Lieferzeiten verkürzen. Durchsetzen könnte sich die Idee zuerst auf der letzten Meile, etwa indem zunächst im Lieferwagen Roboter Rechnungen und Flyer in die Pakete legen.
Dieser Text stammt von Bernd Müller. Er ist freier Autor für MIT Technology Review.